Nebel verhüllte die vernachtete Landschaft. Da er nicht wusste, was ihn erwartete, hatte er sich für alle Fälle vorbereitet. Er trug einen beigen Designeranzug unter seinem Hugo Boss Mantel. In der Aktentasche, die an seinem Arm baumelte, befand sich ein Hawaihemd, noch eingeschweisst. Sollte es zum Einsatz kommen, durfte er nicht vergessen es ein wenig zu zerknittern. Man musste vorbereitet sein, schließlich konnte man nicht wissen, was auf der Beachparty im örtlichen Hallenbad angesagt sein würde. Seine Firma hatte es zum weihnachtlichen Get-Together angemietet. In den beiden anderen Fächern seiner Aktentasche befand sich ein weißes Handtuch und eine Badehose. Als das Hallenbad in sein Blickfeld geriet, beschlug seine Brille. Ebenso beschlagen waren die Scheiben des Hallenbads. Über dem Wasser konnte man eine dampfige Schicht erkennen, getaucht in die Farben der Lichtanlage, die der Miet-DJ, aufgebaut hatte. Rote, blaue, grüne und gelbe Reflexionen wechselten sich damit ab, die Szenerie in ihr Licht zu tauchen. Durch den Nebel und das beschlagene Doppelglas erschien ihm das alles unwirklich, verwischt und er genoss den wohltuenden Effekt der Erleuchtung, deren Quelle er nicht ausmachen konnte. Vor dem Hallenbad kam ihm ein Auto entgegen. Er bemerkte es erst, als die quietschenden Reifen und der Aufschrei der Hupe ihm signalisierte, dass er aufmerksamer sein und nicht mitten auf der Straße stehen bleiben sollte. Er schüttelte dem Fahrer die geballte Faust hinterher und schlenderte weiter in Richtung Licht. Das Gebäude war potthässlich. Beton, der in seltsamen Winkeln aufeinander traf, verhüllte das Gebäude dort, wo kein Glas war. Das konnte man erst aus der Nähe erkennen. Doch aus der Nähe betrachtete er das Gebäude nicht, da er aufhörte das Gebäude zu betrachten, als er die Glasflächen und das Lichtspiel aufgrund der Verwinkelung des Betons nicht mehr sehen konnte. Dem Bademeister, der sich neuerdings hin und wieder als Türsteher betätigte, zeigte er seinen Firmenausweis und wurde eingelassen.
Drinnen erledigte sich das Dresscode Problem von selbst. Man sah Mitarbeiter in allen drei Kleiderordnungen. Anzug, legerer Freizeitlook oder Badehose und Schlappen. Klasse, dachte er sich, alles umsonst mitgeschleppt. Allerdings schien es den anderen auch nicht anders gegangen zu sein. In den Regalen, in denen sich sonst Handtücher und Shampoo stapelten, lagen die prall gefüllten Aktentaschen der Anderen. Ich denke ich bleibe vorerst im Anzug, dachte er sich und entließ seine Tasche zu ihren Artgenossen.
Auf der einen Seite des Beckens befand sich die Bar. Dahinter stand ein ebenfalls angemieteter Mensch und shakte Cocktails. Am Beckenrand auf der anderen Seite hinter den Startblöcken und dem Dreimeterturm war das Dj-Pult aufgebaut. mitsamt der wummernden Anlage und der blitzenden Lichtanlage. Auf der einen Seite vermisste die Bar ihre Pommes, auf der Anderen fürchtete sich die Anlage vor dem Spritzwasser. Man hatte den Sprungturm geschlossen. Der DJ ließ hin und wieder die Nebelanlage arbeiten, weswegen es sowieso zu gefährlich gewesen wäre, zu springen, da man nicht gesehen hätte ob unter dem Turm jemand eine Runde gedreht hätte, vorausgesetzt Jemand hätte seine müden Körper ins kühle Nass überredet oder auf den Turm. Das Get-Together spielte sich sowieso an der Bar ab. Als er an der Reihe war, nachdem er die übliche, steife Begrüßungsrunde hinter sich hatte, bestellte er sich einen Cuba Libre. Sein Chef überredete ihn dazu, sich mit ihm außerdem einen Küstennebel zu genehmigen. Und da durfte man nicht Nein sagen. Das semi-private Gespräch, das sich aus dem Küstennebel ergab, erweckte in ihm den Drang sich nach Hause in sein Bett zu begeben. Da das zu unhöflich gewesen wäre, fragte er seinen Chef, was er davon halte, ins Wasser zu gehen. Die Taktik ging auf, der Chef lehnte ab, er zog sich um und begab sich leicht angetrunken ins Wasser. Das war zwar nicht so gut wie sein Bett, aber immerhin hatte er seine Ruhe. Abgesehen von der ätzenden Bumm-Bumm Musik und den blitzenden Lichtern, die er aus der Ferne für schön gehalten hatte. Aus der Nähe betrachtet beim Schwimmen, hatten sie ebenso viel Charme wie die wummernden Bässe und das Stakkato der Hihats. Zu allem Überfluss hörte man die Hihats unter Wasser nicht. Er war Brustschwimmer. Jedes mal, wenn er seinen Kopf unter Wasser tauchte, hörte er die schlechte Musik nur zur Hälfte. Stressig! Er beschloss möglichst lange zu tauchen, um sich der Tortur zu entziehen. Im Tauchgang genoss er das regelmäßige Licht der Unterwasserbeleuchtung des Beckens. Während die wechselnden Farbexplosionen von der Oberfläche des Wassers ausgeschlossen wurde, fechteten die klanglichen Überreste der 4000 Watt Anlage mit dem Geblubber der Wasserzufuhr. Er gleitete durch die Klang- und Farbenwelt. Hier war es fast auszuhalten. Ihm waren diese Dinge zu wider. Er verachtete die kriechende Firmenhierarchie. Er verachtete sich selbst als Teil dessen. Schade, dass er nur begrenzte Zeit auf Tauchstation gehen konnte. Kiemen wären schön. Auftauchen. Er stieg aus dem Becken und legte sein Freizeitoutfit an. Leger und casual begab er sich an die Bar und entschied, das Wasser durch Alkohol zu ersetzen. Eine dreiviertel Stunde später hatte sich der Küstennebel aus mehreren Gläsern in seinen Augen abgesetzt.
Sein Blick schweift hinüber zum DJ-Pult. Er stand allein hinter seinem Mischpult. Ich bin zu weit weg, um ihn zu erkennen. Vorsichtig lenkte ich Schritt für Schritt am Beckenrand entlang, um ihn sehen zu können. Ich fand mich an seinen Tisch gelehnt. Er schien der glücklichste Mensch auf Erden. Sein Grinsen hatte etwas unheimliches. Es ging von einem Ohr zum anderen und entblößte nach Hasenmanier seine vorderen, beiden Zahnreihen. Seine Backen werfen Wellen und aus den Tälern seiner Gruben, ist das Blut verbannt. Ich frage ihn, was ihn so strahlend macht. Er antwortet mir mit der Frage, wie legal ich sei. Ich bin legal-egal. Er hält mir einen Zellophanbeutel vor die Nase. Fünfzehn Euro. Ich krame in meinen Taschen und kann meinen Geldbeutel nicht finden. Nachdem ich meine Aktentasche aus der Menge ihrer Zwillinge heraus gefiltert hatte, kehre ich zurück zum DJ und nehme meine Happypill entgegen.
Die Blitze der Scheinwerfer treffen auf meine Augen. Es ist als ob ich eine Sonnenbrille auf der Nase trage, die die Energie abfängt. Ich weiß, dass der Bass weiter zuschlägt, wieder und wieder, und doch ist er für meine Ohren unerreichbar geworden. Ich sehe die Wellen in ihrer viereckigen Küste und höre das Rauschen der Brandung. Jemand zieht an meinem Arm. Ich stelle fest, dass ich irgendwie in Schräglage gekommen bin. Mein Körper hängt seitlich zum Becken und mein Torso richtet sich im 45 Grad Winkel in Richtung des Beckens. An meiner Seite steht der DJ und hindert mich daran, ins Wasser zu fallen. Langsam zieht er mich aus der Gefahrenzone. Ich sehe, dass seine Lippen sich bewegen, aber das Meer ist zu laut. Ich verstehe ihn nicht. Ich begebe mich an die Bar und finde mich in Babylon wieder. Einzelne Worte der Mitarbeiter finden ihren Weg an mein Ohr. Doch ich verstehe nicht. Das Rauschen klingt ab, die Ebbe setzt ein. Das einzige, das ich verstehe, ist das gefällige Lachen der Mitarbeiter. Hatte der Chef mal wieder einen Witz gemacht. Ich lache mit. Daran halte ich mich. Lachen, wenn die anderen Lachen. Dazu muss man nicht wissen, was gesagt wurde. Diese Strategie funktioniert an meinem Strand.